Die Voraussetzung für solidarische Wirtschafts- und Lebensweisen und somit auch für ihre Grundprinzipien, ist ein ausbeutungsfreies Leben, das nicht auf Kosten der Natur, anderer Menschen oder zukünftigen Generationen geht (vgl. AMBACH et al. 2019: 18). Indem sie die soziale und ökologische Transformation einer nachhaltigen Entwicklung zusammendenken, verhelfen die Prinzipien politische und wirtschaftliche Strukturen, ebenso wie den gelebten Alltag des Individuums zu verändern und die Verbundenheit von Mensch-Mensch- und Mensch-Umwelt-Beziehungen zu stärken (vgl. ebd.). Beispielsweise umfasst dies Produktion und Konsum, Teilhabe, Mitbestimmung, Sorge und Arbeit, sowie Eigentums- und Besitzverhältnisse. Die im Folgenden aufgelisteten Prinzipien greifen ineinander und stabilisieren die Praxis solidarisch gelebten Alternativen:

Das erste Grundprinzip ist die Demokratisierung. Alle Menschen sollen die Möglichkeit haben, ihr Leben und ihre Entscheidungen selbstbestimmt gestalten zu können und sich mit den nötigen Mitteln für die Realisierung des Vorhabens auszustatten (ebd.: 19). Die solidarische Demokratisierung setzt dabei insbesondere auf die Relokalisierung, anstelle der Auslagerung demokratischer Entscheidungen in technokratische Organe. Die Entscheidungsgewalt liegt dabei bei lokalen Einheiten, die allen Menschen durch transparente und basisdemokratische Verfahren eine gerechte Teilhabe ermöglichen. Diese lokalen Einheiten werden zudem durch große Institutionen vernetzt, damit universale soziale Rechte translokal verhandelt und legitimiert werden. Somit kann eine gemeinsame Wertebasis und der Schutz von Minderheiten erschaffen werden (vgl. ebd. 19f.). Eine solidarische Demokratisierung bedeutet zudem, dass sich Beteiligte gesellschaftlicher Infrastrukturen und Institutionen in Genoss*innenschaften, Räten oder Bürger*innenversammlungen hinsichtlich der Realisierung ihrer Bedürfnisse selbstverwalten (ebd.)

Das zweite Grundprinzip solidarischer Lebensweisen benennt sich Commoning, zu Deutsch der Prozess des Gemeinschaffens (vgl. ebd.: 20). Währenddessen die imperiale Lebensweise die Verteilung materieller Güter und Ressourcen über Privateigentum und Profitmaximierung organisiert, setzt die solidarische Lebensweise auf die gemeinschaftliche Erzeugung, Nutzung und Pflege der Gemeingüter. Durch die gemeinsame, demokratische Nutzung und Erhaltung solcher Gebrauchsgüter, werden weniger Ressourcen für die Herstellung und Produktion benötigt, denn ein Gut, wie beispielsweise ein Hammer, wird im Laufe seines Produktlebenszyklus von zahlreichen Menschen genutzt, statt von wenigen Individuen. Somit übernehmen Menschen im Prozess des sozialen Gemeinschaffens Ver-antwortung für Ressourcen, Dienstleistungen und Güter (vgl. ebd.).

Das Grundprinzip der ReProduktion zählt ebenfalls dazu, denn es benennt gezielt die Wichtigkeit der Sorgearbeit. Die Erwerbsarbeit soll sich konsequent an der Logik der Sorge orientieren, sodass prekäre reproduktive Tätigkeiten im Rahmen der Sorgearbeit für Menschen, wie Kinderbetreuung, Hausarbeiten und Kranken- und Altenpflege, ebenso wie der Erhalt der Natur einen zentralen gesellschaftlichen Stellenwert erhalten (vgl. ebd.: 21). In der solidarischen Erwerbsarbeit und somit auch der solidarischen Wirtschaft geht es demnach nicht mehr um die Auslagerung von Kosten auf die Natur oder auf Menschen, sondern darum, „Leben zu erhalten, Teilhabe zu sichern und Bedürfnisse zu verwirklichen, ohne andere auszubeuten“ (ebd.: 20). Tätigkeiten werden nicht mehr hinsichtlich der Produktion eines ökonomischen Mehrwerts anerkannt, sondern dadurch, dass sie sich auf die Erhaltung einer ökologischen Unversehrtheit und der Entfaltung menschlichen Lebens beziehen (vgl. ebd.: 21).

Dependenz, ein weiteres Grundprinzip solidarischer Lebensweisen, umfasst das Mensch-Natur-Verhältnis. Es geht nicht darum, die Natur als Rohstofflager oder Mülldeponie zu achten, sondern um das Bewusstsein dafür, dass der Mensch mit der Natur untrennbar verflochten ist (vgl. ebd.: 22). Der Mensch selbst ist ein Teil der Natur und die Natur wird nicht länger als „Umwelt“, sondern als „Mitwelt“ betitelt. Die Natur wird somit nicht mehr als verwertbar oder von menschlichen Prozessen manipulierbar verstanden. Solidarische Lebensweisen sprechen ihr Eigenständigkeit und einen Eigenwert bei gleichzeitiger Verbindung mit den Menschen zu (vgl. ebd.). Der Zugang zur Mitwelt, der Naturverbrauch und die Güterproduktion müssen dafür in Institutionen und Organisationsformen demokratisiert werden, damit Menschen der Verantwortung für die Mitwelt gerecht werden können. Anthropogene Eingriffe in die Mitwelt sollten darüber hinaus nur in dem Maße geschehen, dass sich die Mitwelt in ihrem eigenen Tempo regenerieren kann. Konkrete Maßnahmen sind beispielweise die Reduzierung von Umweltverschmutzung und Ressourcenverbrauch, der Schutz von Lebensräumen und die langfristige Erhaltung natürlicher Kreisläufe (vgl. ebd.).

Das fünfte Grundprinzip ist das der Suffizienz. Suffizienz zielt in erster Linie darauf ab, dass die Menschheit ihren Ressourcenverbrauch verringert. Dabei geht es nicht um den absoluten Verzicht von ressourcenintensiven Gütern, sondern um die Frage des Genügens – „Was ist genug?“ (vgl. ebd.: 22). Die Suffizienz fordert dazu auf, über Bedürfnisse des Individuums zu denken. Es geht darum, über Konsumbedürfnisse hinauszudenken und den globalen ökologischen Fußabdruck zu verringern. Ziel des Grundprinzips ist es, „dass alle Menschen ihre Bedürfnisse verwirklichen können, ohne dabei auf Kosten anderer und der Mitwelt zu leben“ (ebd.).

Zusammenfassend begegnen sich innerhalb dieser fünf, von AMBACH et al. verfassten, Grundprinzipien Möglichkeiten des solidarischen Lebens und Wirtschaftens, welche für die Konzeption der Bildungsmodule einen Leitrahmen darstellen. Die Autor*innen des I.L.A. Kollektivs verweisen letztlich darauf hin, dass die Grundprinzipien nicht vollständig sind, da „der Masterplan“ einer idealen Zukunft nicht verfasst werden kann. Dennoch verhelfen die sich gegenseitig bedingenden Grundprinzipen dazu, „den Weg (zu) einer solidarischen Welt anzutreten und nicht weit von diesem abzukommen“ (ebd.: 22).

Quelle: Brauns Julia; Masterarbeit zur Erlangung des akademischen Grades Master of Arts (M.A.); „Mensch & Mitwelt vor Profite – Wirtschaft neu denken!“: Konzipierung eines Schulklassenprojekts zum Themenbereich Solidarische Wirtschaftsweisen & Lebensstile auf Grundlage von Schülervorstellungen zur
Solidarischen Ökonomie im Kontext einer Bildung für nachhaltige Entwicklung.

Literaturquellen:

AMBACH, Christoph, AUSTALLER, Monika, BÄHR, Hermine, BEIL, Christopher, BROKOW-LOGA, Anton, EICKE, Leima, INKERMANN, Nilda, HILDE-BRANDT, Frederike, JEGLITZKA, Elisabeth, KALT, Tobias, KOLBINGER, Ju-lia, LAGE, Jonas, RIES, Felix, RITTER, Johanna, ROSSWOG, Tobi, SCHWAUSCH, Christiane, THOMAS, Wiebke, VAN TREECK, Katharina & WALCH, Simon (I.L.A. Kollektiv) (2019): Das Gute Leben für Alle. Wege in die solidarische Lebensweise. München: oekom.